Stellungnahme zu „Demokratie verteidigen!“

Stellungnahme des Historikers David Kriebernegg zu Redebeiträgen betreffend den Gaza‐​Krieg auf der Demonstration „Demokratie verteidigen!“ vom 3. Februar 2024 am Grazer Hauptplatz. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Graz der letzten Jahrzehnte. Diese Version entspricht in leicht abgeänderter Form der Rückmeldung des Autors an das Organisationskomitee der Demo.

Liebes Organisationsteam von „Demokratie verteidigen“!

Als überzeugter Mitstreiter gegen die zunehmende Infragestellung von Demokratie und Menschenrechten halte ich eine kritische Rückmeldung zur Demo vom 3. Feber für notwendig.

Zuallererst: Danke für euer Engagement! Die vielen tausenden Menschen auf der Straße haben gezeigt, dass der zunehmende Rechtsruck und die Infragestellung menschenrechtlicher Standards auch hierzulande nicht unwidersprochen bleiben. Die breite Basis und die Vielfalt des Bündnisses machen Mut und sind ein Ausdruck der Stärke zur Verteidigung demokratischer und rechtlicher Grundstandards. Das gibt Hoffnung!

Besorgniserregend ist allerdings, welchen Positionen unter dem Label „Demokratie verteidigen!“ hier eine Bühne geboten wurde, und zwar im buchstäblichen Sinne.

Reden zu bejubeln, bei denen ausgerechnet die einzige Demokratie im Nahen Osten, der Staat Israel, angeklagt wird und wo gleichzeitig über die Menschenrechtsverletzungen, über die fehlende Rechtsstaatlichkeit und die undemokratischen Verhältnisse vieler anderer Länder dieser Region kein Wort verloren wird; wo Israel als Aggressor dargestellt wird, der sich durch „grausame Politik gegenüber den Palästinenser:innen“ auszeichne, ohne die Bedrohungslage des einzigen jüdischen Staates seit 1948 zu erwähnen, ohne den kontinuierlichen Terror islamistischer Organisationen wie der Hamas oder der Hizbollah anzuprangern und ohne über die Vernichtungsphantasien des Regimes im Iran und dessen Verbündete zu sprechen, ist beschämend.

Noch beschämender ist es, wenn die Situation im Gaza‐​Streifen in einen Exzess der (israelischen) Unterdrücker:innen am palästinensischen Volk verkehrt wird. Und das in einer Situation, wo seit dem 7. Oktober bis zum heutigen Tag Qassam‐​Raketen auf israelische Städte abgeschossen werden und sich Hamas‐​Kämpfer blutige Gefechte mit dem israelischen Militär liefern; in einer Situation, wo noch immer israelische Geiseln in Gaza verschleppt sind und die innerpalästinensische Opposition gegen die Hamas brutal unterdrückt wird. Auch kein Wort verloren haben die beiden Rednerinnen über die Proteste der Zivilbevölkerung Gazas gegen das Regime der Hamas, die etwa Ende Jänner stattfanden, und über ihre Forderung, den Krieg sofort zu beenden.

Irritierend ist es, wenn die „Pro Palestine“-Aktivistin Widerspruch am Auftreten von Anti‐​Israel‐​Kundgebungen pauschal als Rassismus brandmarkt, den es zweifelsfrei gesamtgesellschaftlich gibt. Dass die behördlichen Auflagen und Stimmen der Ablehnung jedoch mit der Delegitimierung des Staates Israels und antisemitischen Parolen wie „Chaibar, Chaibar, ya yahud, dschaisch Mohammed saya’ud!“ oder dem notorischen „From the river to the sea, Palestine will be free!“, die auf diesen Kundgebungen zu vernehmen waren, in unmittelbarem Zusammenhang stehen, wurde von ihr nicht einmal angedeutet.

Noch entlarvender ist es, wenn in beiden Reden zwar beteuert wurde, Antisemitismus und Rassismus kategorisch abzulehnen, zugleich aber über die massive Zunahme antisemitisch motivierter Straftaten und die sich verschärfende Bedrohungslage für die jüdische Bevölkerung seit dem 7. Oktober kein Wort der Anklage oder des Bedauerns zu vernehmen war. Dass sich der gegenwärtige Antisemitismus vor allem aus antiisraelischen Ressentiments bis Hass speist, zeigen allein schon die Reaktionen in vielen migrantisch geprägten Stadtvierteln in Europa, wo man das Massaker vom 7. Oktober mit dem Verteilen von Süßigkeiten gefeiert hat. Auch nach Bekanntwerden des Ausmaßes und der Brutalität des Überfalls blieben Empathiebekundungen mit den israelischen Opfern die Ausnahme. Das Straßenbild prägten bereits wenige Tage danach Palästina‐​Solidaritätsaktionen – die ersten Demos wurden noch untersagt oder aufgelöst –, Aktionen, die nur mehr aus einer ideologisch verursachten Wahrnehmungsstörung zu erklären sind.

Dass die Angriffe auf Orte jüdischer Identität wie der Brandanschlag von Ende Oktober am Wiener Zentralfriedhof oder die Kennzeichnung jüdischer Wohnungen mittels Davidsternen in Berlin, eine Woche nach dem Massaker, in den Redebeiträgen unthematisiert blieben, ist daher nur konsequent. Es ist Israel, das hier auf der Anklagebank sitzt. Differenziert wird in dieser Täter‐​Opfer‐​Dichotomie nicht, die Palästinenser:innen erscheinen immer nur als Betroffene des Terrors, womit der Mordrausch der Hamas, des Islamischen Dschihad oder der PFLP stillschweigend verharmlost wird. Wer den Terror der Hamas in einer vielminütigen Rede zur Lage in Gaza nicht einmal erwähnen kann, die:der ist in ihrer:seiner zum Ritual verkommenen Ächtung des Antisemitismus völlig unglaubwürdig. Das Mantra „gegen Antisemitismus zu sein“ teilen sich die Israel-Delegitimierer:innen im Übrigen mit den Rechtsausleger:innen von FPÖ und AfD – frei nach dem Motto: „Wer Antisemit:in ist, bestimmen wir“.

Als Organisationsteam über solche Verzerrungen hinwegzusehen und mit dem Demoprogramm einfach fortzufahren, als ob nichts gewesen wäre, ist im Kontext des Demoaufrufs und der starken Beteiligung wirklich unverantwortlich. Wenn schon keine Distanzierung, so wäre zumindest ein Hinweis auf den Terrorangriff vom 7. Oktober und auf das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israels angebracht gewesen. Dass die Demonstration zur Verteidigung der Demokratie für anti‐​israelische Ressentiments instrumentalisiert werden konnte, ist mehr als enttäuschend.

Mit antifaschistischen Grüßen
David Kriebernegg

David Kriebernegg ist Mitarbeiter beim Verein Granatapfel Kulturvermittlung, studierte Geschichte, Europäische Ethnologie/​Kulturanthropologie und Philosophie in Graz.

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