Centuries von Wolfgang von Dechend

Ein Klavierstück inspiriert von Friedrich Rückerts Ballade Cidher.

Komponist Wolfgang von Dechend am Flügel

Centuries von Wolfgang von Dechend. Das Klavierstück ist inspiriert von Friedrich Rückerts Ballade Chidher und behandelt den Wandel aller Dinge in der Zeit oder, wie der Komponist gesagt, das sich Herausheben aus dem Drama des Lebens.

Chidher, der ewig junge, sprach:
Ich fuhr an einer Stadt vorbei,
Ein Mann im Garten Früchte brach;
Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei?
Er sprach, und pflückte die Früchte fort:
Die Stadt steht ewig an diesem Ort,
Und wird so stehen ewig fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich keine Spur der Stadt;
Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei,
Die Herde weidete Laub und Blatt;
Ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei?
Er sprach, und blies auf dem Rohre fort:
Das eine wächst wenn das andre dorrt;
Das ist mein ewiger Weideort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
Ein Schiffer warf die Netze frei:
Und als er ruhte vom schweren Zug,
Fragt ich, seit wann das Meer hier sei?
Er sprach, und lachte meinem Wort:
Solang als schäumen die Wellen dort,
Fischt man und fischt man in diesem Port.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich einen waldigen Raum,
Und einen Mann in der Siedelei,
Er fällte mit der Axt den Baum;
Ich fragte, wie alt der Wald hier sei?
Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort;
Schon ewig wohn ich an diesem Ort,
Und ewig wachsen die Bäum hier fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich eine Stadt, und laut
Erschallte der Markt vom Volksgeschrei.
Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut?
Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?
Sie schrien, und hörten nicht mein Wort:
So ging es ewig an diesem Ort,
Und wird so gehen ewig fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren
Will ich desselbigen Wegs fahren.

Quelle: Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 291–293

Wolfgang von Dechend

Wolfgang von Dechend hat seine Leidenschaft für die Musik schon in frühester Kindheit entdeckt. Er spielt neben dem Klavier auch Cello. Beruflich ist er als (Online-)Klavierlehrer in Basel tätig. Er ist spezialisiert auf Klassik, Romantik, Spätromantik und den Übergang ins 20. Jahrhundert. Immer größere Bedeutung gewinnt aber auch die Komposition, wobei sich die meisten Kompositionen aus Improvisationen entwickeln. Als bisheriger Höhepunkt seiner musikalischen Laufbahn kann die Entstehung des Klavier‐​Solo‐​Programms Styx. A Long Journey (Uraufführung 2007) angesehen werden. Weitere Stücke sind auf seinem YouTube‐​Kanal zu hören.

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